Austro-Daimler ADS R „Sascha“ feiert 100 Jahre Klassensieg bei der Targa Florio
Mit dem Austro-Daimler ADS R glaubt der damals 46 Jahre alte Ferdinand Porsche an das Prinzip des Leistungsgewichts, das bis heute eine entscheidende Eigenschaft aller Sportwagen aus Zuffenhausen ist. Ein Jahrhundert später hat sich ein Team aus der Abteilung Porsche Heritage und Museum der Restaurierung des Zeitzeugen angenommen.
Ferdinand Porsche lernt Alexander Joseph Graf Kolowrat-Krakowsky im Jahr 1921 kennen. Der begeisterte Motorsportfan ist Teilhaber des Unternehmens Austro-Daimler, in dem Porsche zu dieser Zeit arbeitet. Er trägt den Spitznamen Sascha. Porsche und Kolowrat sprechen über die Realisierung eines Herzensprojekts: einen Kleinwagen in größerer Stückzahl zu einem niedrigen Preis zu fertigen. Für das geplante Serienfahrzeug braucht Porsche die Zustimmung des Vorstands von Austro-Daimler, der dem Projekt skeptisch gegenübersteht. Positive Aufmerksamkeit nach einem Renneinsatz sei perfekt, um die Kritiker zu überzeugen, ist sich Porsche sicher. Also realisiert er neben dem geplanten Kleinwagen mit nur 1.100 ccm Hubraum auch eine Rennversion: den ADS R. Da der Industriemagnat und Filmproduzent Kolowrat das Projekt finanziert, wird das Fahrzeug nach ihm benannt: Sascha. Es entsteht eine 598 kg leichte Rennversion zum geplanten Serien-Viersitzer. Der wassergekühlte 1,1-Liter-Reihenvierzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen wird weiter hinten eingebaut. Das verkürzte Chassis wiegt lediglich 450 kg, das Gesamtgewicht verteilt sich zu 53 Prozent auf die Vorder- und zu 47 Prozent auf die Hinterachse. Mit zwei vollen Benzintanks und beiden belegten Sitzen ist die Last perfekt verteilt. Der zweite Kübelsitz ist dem Mechaniker vorbehalten, das war damals nicht unüblich. Ersatzteile und Werkzeuge verstaut der Mechaniker in einer Holzkiste hinter den Sitzen, seitlich sind Reserveräder befestigt.
Gute Tradition: Entwicklungen testet Porsche im Motorsport
Die Station bei Austro-Daimler war für Ferdinand Porsche – nach seinem Ausscheiden aufgrund von Unstimmigkeiten – das Sprungbrett nach Stuttgart. Im Rahmen des Kleinwagenprojekts lernt er seine späteren ersten Mitarbeiter Otto Zadnik und Karl Rabe kennen. Letzterer wird bei Austro-Daimler sein Nachfolger. Nach 17 erfolgreichen Jahren in Wiener Neustadt wechselt Porsche Ende April 1923 zur Muttergesellschaft Daimler nach Stuttgart. Wenige Jahre später gründet er dort, gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Anton Piëch und dem ehemaligen Rennfahrer und Geschäftsmann Adolf Rosenberger, 1931 das Konstruktionsbüro „Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH, Konstruktionen und Beratung für Motoren und Fahrzeuge“. Porsche wird den Brauch beibehalten, Entwicklungen im Motorsport zu testen, bevor sie in Serie gehen. Und das Unternehmen wird der Targa Florio weiterhin eine besondere Bedeutung beimessen.
Im Bild: Das 13. Targa-Florio-Rennen am 2.4.1922. Am Steuer des Wagens mit der Startnummer 1 Graf Alexander "Sascha" Kolowrat, hinter der "1" Ferdinand Porsche.
Porsche als erfolgreichster Teilnehmer der Targa Florio
Was sein Vater Ferdinand Porsche vor einem Jahrhundert als Angestellter von Austro-Daimler begonnen hat, führt Ferry Porsche mit den Fahrzeugen unter eigenem Namen fort: der Stuttgarter Sportwagenhersteller nimmt regelmäßig an Rennen auf Sizilien teil. Mit elf Gesamtsiegen ist Porsche bis heute der erfolgreichste Teilnehmer der Targa Florio. 1956 holt Umberto Maglioli im Porsche 550 A Spyder den Gesamtsieg. Magliolis Sieg erinnert an das, was dem Team um Ferdinand Porsche und Graf Kolowrat mit dem Austro-Daimler ADS R vor einhundert Jahren bei der 13. Targa Florio gelingt: Sich erfolgreich gegen die hubraumstärkere Konkurrenz durchzusetzen.
„Merkwürdiges Rennen über abenteuerliche Strecken“
Die Prototypen werden 1922 erst kurz vor der Rennteilnahme fertig. Noch auf der Zugfahrt lackieren die Mitarbeiter von Porsche die Aluminiumkarosserien der vier Sascha-Modelle rot, damit sie in Italien nicht besonders auffallen und gestohlen werden. Zur besseren Unterscheidung der Fahrzeuge aus der Ferne lässt Kolowrat sie mit Symbolen von Spielkarten versehen. An seinem Modell prangen Herzen, Alfred Neubauer – der erfolgreichste Fahrer und später Rennleiter von Mercedes – bekommt Karos, Fritz Kuhn fährt mit Pik und Lambert Pöcher mit Kreuz. Graf Kolowrat ist nicht nur Finanzier und Einsatzleiter des Projekts, er fährt auch selbst. Es ist ihm gelungen, die kleinen Sportwagen in der 1,1-Liter-Klasse zu melden. Die Hubraum schwächsten Fahrzeuge und somit auch Kolowrat starten zuerst. Später bezeichnen die vier Sascha-Piloten die Targa Florio als „merkwürdiges Rennen über abenteuerliche Strecken“. Sie fahren im Abstand von je zwei Minuten los, was dazu führt, dass die Teilnehmer nie sehen, gegen wen sie antreten. Es gilt, vier Runden à 108 km zu absolvieren. Am Ende – und das ist erreicht nach 6.000 Kurven, 432 km und Steigungen bis zu 12,5 Prozent – wird der Austro-Daimler ADS R 19. im Gesamtklassement. „Mit Großvolumigkeit haben viele bei der Targa Florio geglänzt, aber der 598 kg leichte Sascha war mit seinen 50 PS bei 4.500 U/min ein flinker Bursche“, sagt Achim Stejskal, Leiter Heritage und Porsche Museum. „Seine Durchschnittsgeschwindigkeit lag am Ende des Rennens bei nur acht km/h weniger als die der schnellsten Fahrzeuge mit einem vier- bis fünfmal stärkeren Motor.“
Die italienische Presse feiert das schnelle und widerstandsfähige „Miniaturwägelchen“ mit einer möglichen Höchstgeschwindigkeit von 144 km/h als „die Offenbarung der Targa Florio“. Um die Leistungen auch über die Grenzen hinaus zu würdigen, schaltet Ferdinand Porsche großformatige Zeitungsanzeigen: „Austro-Daimler ist der moralische Gewinner der Targa Florio 1922!“ Was Daimler wenige Tage später mit Gegenanzeigen widerlegte, schließlich hatte Daimler den Gesamtsieg errungen. Die Mitglieder des Vorstands der Austro-Daimler AG – unter der Führung von Camillo Castiglioni – waren zwar wie von Porsche gewünscht aufmerksam geworden, aber nach wie vor nicht zur Freigabe einer Serienproduktion des ADS bereit. Auch nicht nach vielen weiteren Erfolgen, denn dank seiner Wendigkeit und der effektiven Kraftausnutzung fährt der Sascha nach dem Klassensieg bei der Targa Florio bei 52 Rennen noch weitere 42 Siege ein – häufig ist der junge Ferry Porsche an den Strecken mit dabei. Der Vorstand spricht sich final dagegen aus, wegen finanzieller Gründe, der Inflation und der Tatsache, dass man Österreich zu klein fände, um einen geeigneten Markt zu bieten. Man solle sich lieber weiterhin großen Sechszylindern widmen. Das Resümee des Vorstands und ein Konflikt mit Castiglioni führt dazu, dass Porsche Austro-Daimler verlässt und zur Muttergesellschaft nach Stuttgart wechselt. Im Jahr 1924 nimmt Ferdinand Porsche mit Daimler bei der Targa Florio teil und erhält unter anderem dafür den Ehrendoktor der Universität Stuttgart – bis heute der Doktortitel im Firmennamen von Porsche.
Im Bild: Das 13.Targa-Florio-Rennen am 2.4.1922: Bericht in der Allgemeinen Automobil-Zeitung über die Erfolge der Austro-Daimler Rennwagens "Sascha" bei der Targa Florio 1922.
Die Restaurierung: zeitgemäß aber nicht immer original
Schon vor Beginn der Restaurierung steht das Fahrzeug viele Jahre in der Ausstellung im Porsche Museum. Eine kleine Messingplakette am Armaturenbrett verweist darauf, dass der Rennwagen zuletzt im Juni 1975 in der Lehrwerkstatt von Porsche restauriert wurde. „Wir haben recherchiert und erfahren, dass das Fahrzeug Ende der 1950er-Jahre ins Werk gekommen und dort zeitgemäß repariert worden ist“, erzählt Kuno Werner, Werkstattleiter des Porsche Museums, der die Projektleitung innehat. Gemeinsam mit seinem Team setzt er sich im Jahr 2021 das Ziel, den Sascha zum 100. Jubiläum des ersten Klassensiegs restauriert zu haben. „Unser Wunsch war es, den Targa Florio-Helden historisch erhaltenswert und fahrbereit zu rekonstruieren“, sagt Werner. „Den Sascha von Grund auf neu aufzubauen kam für uns nicht infrage, da vieles bereits nicht mehr original war.“
Vor Beginn der Restaurierung bekommt der Werkstattleiter die Möglichkeit, Saschas Schwesterauto in Hamburg zu besichtigen: rot und in nahezu originalem Zustand. Bis ins Jahr 1975 ist auch der Sascha aus der Ausstellung rot, anschließend lackieren ihn die Mitarbeiter der Lehrwerkstatt weiß. Zurück im Porsche Museum liest Werner in alten Aufschrieben im Unternehmensarchiv. Dort, im Gedächtnis von Porsche, bewahrt der Sportwagenhersteller wichtige Unterlagen auf, die als historische Belege bei der Arbeit an den Fahrzeugen hilfreich sind. So erfährt der Werkstattleiter, dass das Fahrzeug nach vielen Rennen jahrelang auf einem Bauernhof stand und teilweise ausgeschlachtet wurde. Nach einem ersten Testlauf von ein paar Metern zeigt sich, dass der Motor undicht ist. „Je mehr Teile wir abbauten, desto deutlicher wurde, dass wir ein ordentliches Fundament brauchen. Ein Haus baut man schließlich auch nicht auf Sand“, erklärt Werner die Entscheidung, den Motor bei einem Experten aus dem Vorkriegsmotorenbau überarbeiten zu lassen. Hierbei gilt es, eine besondere Herausforderung zu meistern: die Modifikationen der vergangenen Jahrzehnte nachzuvollziehen. „Gerade die Überarbeitung der Zylinder sowie deren Einpassung in das Originalgehäuse war für alle Beteiligten eine spannende Phase“, fasst der Werkstattleiter zusammen.
Die Restaurierung des bisher ältesten Fahrzeugs im Porsche Museum übergibt Werner für die kommenden sechs Monate an seinen jüngsten Mitarbeiter. Jan Heidak, Techniker im Porsche Museum, arbeitet fortan intensiv mit dem Motorenbauer zusammen. „Es gefällt mir, technisches Kulturgut zu erhalten“, sagt der 28-Jährige. Er sucht den Kontakt zu ehemaligen Technikern und heutigen Rentnern, die sich mit den Gepflogenheiten alter Ingenieurskunst auskennen und ihm gern mit Rat zur Seite stehen. Um historische Technik weiter am Leben erhalten zu können, sieht es das Porsche Museum als besondere Aufgabe, den Wissenstransfer in die nächste Generation zu gewährleisten. Ein halbes Jahr lang widmet sich das Team fortan dem Starrachsenfahrwerk, den Bremsen und dem Motor. Die Anforderung an den 4-Zylinder-Reihenmotor mit 68,3 mm Bohrung und 75,0 mm Hub ist schnell definiert: leichtfüßig und sportlich soll er sein. Schließlich stecken im Austro-Daimler ADS R viele Gene der Motorsportgeschichte, die später zur Grundlage für Porsche wurden. Allen voran das Thema Leichtbau.
Schon damals viele Innovationen
Der Sascha ist bei der Entwicklung vor mehr als einhundert Jahren bereits seiner Zeit voraus. So betätigt der Fahrer die vier Trommelbremsen des leichten Fahrzeugs mechanisch über Seilzüge, die im Rahmen der Restaurierung gegen neue Seilzüge getauscht werden, der Sicherheit wegen. Zentralmuttern halten die Räder, die Schaltung des Vierganggetriebes ist innerhalb des Fahrzeugs – beides innovativ für die 1920er-Jahre. Der Motor mit Laufbuchsen aus Stahl, Leichtmetallkolben und Trockensumpfschmierung verfügt über eine technische Innovation aus dem Rennsport, vermutlich aus Sicherheitsgründen und nicht aus Gründen der Leistungssteigerung: die Doppelzündung. Pro Zylinder sind zwei Zündkerzen eingesetzt. Beim Ausfall einer Zündkerze kann der Motor immer noch auf allen Zylindern laufen. Im Vergleich zu anderen Rennmotoren aus dieser Zeit erweist sich Porsches Vierzylinder mit größerer Bohrung und kürzerem Hub ohnehin als das fortschrittlichste Konzept. Die Auspuffanlage ist trichterförmig und bestens durchdacht: Die Auslasskanäle der mittleren Zylinder laufen in einem gemeinsamen Krümmer zusammen, ebenso die beiden äußeren. Weiter unten vereinen sich die beiden in einem Rohr und beschleunigen die Austrittsgeschwindigkeit der Abgase.
Beim Roll-out nach mehr als sechs Monaten Arbeit darf Jan Heidak, der sich um die Restaurierung des ältesten Fahrzeugs des Porsche Museums kümmerte, an das große Holzlenkrad. „Erstaunlich gut für ein einhundert Jahre altes Auto“, schildert er seine ersten Fahreindrücke mit dem Vorkriegsfahrzeug auf dem Skid-Pad des Entwicklungszentrums in Weissach. Gewöhnungsbedürftig sei jedoch die Anordnung der Pedale gewesen, die nicht wie heutzutage ist. Das mittlere Pedal ist zum Gas geben und nicht zum Bremsen. Außerdem seien die Lenkkräfte hoch und die Lenkung habe keine Rückstellkräfte, was für ihn den größten Unterschied zu neuen Fahrzeugen ausmacht. „Die Schaltung ist sehr gut, es klappt, ohne zwischenkuppeln hoch- und runterzuschalten, wobei es sich besser anfühlt, mitzuschalten. Wie bei einem Porsche 356“, fasst Heidak zusammen. Ohne Brille empfiehlt er jedoch keine Ausfahrt, denn: „Die Vorderräder wirbeln einiges an Dreck auf, der einem samt kleiner Steinchen direkt im Gesicht landet“, sagt Heidak.
Die Pläne des Porsche Museums mit dem Sascha verrät Kuno Werner: „Wir werden dafür sorgen, dass ihn Interessierte fahrbereit auf vielen Events antreffen können.“ Dafür, so viel ist sicher, gibt es genügend Einsätze im Aktivitätenkalender der Abteilung Porsche Heritage und Museum.