Smarte und nachhaltige Insel: Auf Astypalea wird vieles zum weltweit ersten Mal passieren
Nikalaos Komineas ist Bürgermeister von Astypalea und überzeugter Treiber der Transformation zur „Elektroinsel“.
Wie so viele entdeckte Komineas Astypalea zunächst als Besucher und wollte irgendwann nicht mehr weg. Als Architektur- und Soziologiestudent aus Athen kam er 1979 das erste Mal auf die Insel und fand Freunde, mit denen er eine Verabredung traf: Jedes Jahr am 15. August wollte sich die Gruppe am Mituzana-Strand in der Inselmitte treffen. An der Sorbonne in Paris begann Komineas eine Doktorarbeit über den Einfluss der Umgebung auf die Psyche des Menschen. Dafür recherchierte er auch auf Astypalea. „Ich habe die Arbeit nicht beendet, denn das Ergebnis war eindeutig: Das Leben auf Astypalea ist so viel menschlicher als in der Großstadt“, erzählt der heute 65-Jährige. 1983 hat er sich entschlossen, auf die Insel zu ziehen und arbeitete dort als Architekt. Seit 2019 bekleidet er das Bürgermeisteramt. Wir haben Komineas, den viele je nach Situation „Nikos“ oder „Mayor“ nennen, in der Nähe seines Büros getroffen.
Herr Komineas, wie wurde aus der Idee einer CO2-neutralen Insel das „Astypalea-Projekt“?
Das war für uns ein aufwendiger Prozess. Unsere kleine Inselverwaltung verfügt nur über wenige Mitarbeiter, die ein Projekt dieser Komplexität betreuen können. Die Reise begann für mich persönlich vor gut eineinhalb Jahren. Damals war ich eher zufällig beim Verkehrsministerium in Athen und sagte, dass ich auf der Insel gern ein öffentliches Verkehrssystem mit elektrischen Bussen einrichten würde. Zur gleichen Zeit war das griechische Außenministerium, das auch für Fragen der Wirtschaftsförderung zuständig ist, in Kontakt mit Volkswagen und Dr. Diess. Beide Seiten überlegten, auf den griechischen Inseln etwas mit E-Mobilität zu tun. Ich war offensichtlich zur richtigen Zeit in Athen. So kamen wir als lokale Verwaltung von Astypalea in Kontakt mit dem griechischen Außenministerium. Wir begannen sofort mit der Arbeit, indem wir ihnen Informationen zur Insel gaben. Wie viele Menschen hier leben, wie viele und was für Autos hier existieren. Nach acht Monaten der Auswertung entschied der Staat gemeinsam mit Volkswagen, das Projekt in Astypalea zu starten.
Was gab den Ausschlag zu diesem Projekt?
Ich denke, dass Autohersteller wie Volkswagen eine umfassende Transformation anstreben. Denn in ein paar Jahren könnte es für viele Menschen schwierig werden, ein Auto zu besitzen. Es könnte dann leichter sein, ein Auto zu nutzen, wenn man es benötigt – für eine Stunde, einen Tag oder eine Woche. Die Zukunft wird sein, öffentlichen Verkehr und Carsharing mit innovativer Software anzubieten und damit neue Geschäftsmodelle zu generieren.
Astypalea bietet Volkswagen die Chance zu erfahren, wie gut Systeme wie Shuttle on Demand und Carsharing in einem geschlossenen System ohne wirkliche Alternativen funktionieren. Die Komplexität der Mobilitätsentscheidungen ist auf einer kleinen Insel deutlich niedriger als in der Großstadt. Wie wir innovative Verkehrssysteme hier weiterentwickeln müssen, damit die Menschen sie annehmen, dürfte für Volkswagen von höchstem Interesse sein. Nach der Implementierung wird es schnell erste Erkenntnisse geben.
Zudem glaube ich, dass Volkswagen verstanden hat, dass der Wandel zu nachhaltigem Wirtschaften eine Notwendigkeit ist – für die Menschheit und daher auch für große Unternehmen. Es gibt klare Beweise für den Klimawandel. Wir können Autos oder Elektrizität nicht mehr so produzieren, wie wir das bisher getan haben. Aber die Unternehmen müssen den Menschen auch beweisen, dass ihre Motive in eine bessere Zukunft weisen und dass es nicht nur ums Geldverdienen geht.
Was denkt die Bevölkerung von Astypalea?
Einige Menschen auf unserer Insel sind misstrauisch, das muss man sagen. Sie haben bisher viele Dinge gehört, die nicht zusammenpassen und wollen nun sehen, ob die gemachten Versprechen Realität werden. Beispielsweise die Frage, wie wir auf Astypalea künftig Energie produzieren wollen: Jeder versteht, dass es keinen Sinn macht, Elektroautos einzuführen, aber die Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung weiter zu betreiben. Windräder stoßen jedoch auf viel Ablehnung. Es gibt nun einen klaren Beschluss des Stadtrats, dass Astypalea keinen Strom über den eigenen Bedarf hinaus erzeugen will. Es soll keinen großen Windpark geben, und kein Kabel zu einer anderen Insel. Es entsteht eine Solarfarm, die um ein Windrad ergänzt wird.
Nun ist das klar und es geht in die richtige Richtung. Mit der Publicity, die bereits existiert und noch kommen wird, wird das Projekt jeden Tag klarer werden. Sobald das Carsharing-Programm anläuft, werden die Leute verstehen, wie die Zukunft aussehen könnte. Vielleicht mögen sie diese Zukunft nicht sofort. Vielleicht lieben sie sie auch. Wichtig für unsere Bürger ist, dass sie verstehen, was die Vorzüge sind. Und dass sie das Gefühl bekommen, dass ihre Ideen das Programm direkt beeinflussen.
Astypalea ist auf dem Weg zur smarten, nachhaltigen Insel – mit direkter Bürgerbeteiligung. So wurde zuletzt der Bau einer Solarfarm, die um ein Windrad ergänzt wird, beschlossen.
Wie binden Sie betroffene Branchen in das neue Mobilitätskonzept ein?
Wir stehen hier bei der Transformation vor ähnlichen Herausforderungen wie im Rest Europas. Die Autovermieter fürchten durch das Carsharing neuen Wettbewerb von außerhalb. Auch einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr sehen sie skeptisch. Das ist verständlich, denn wenn das System gut funktioniert, werden weniger Urlauber für ihren kompletten Aufenthalt ein Auto mieten. Wir haben uns mit unseren Vermietern und Volkswagen darauf verständigt, dass nur ein Carsharing-Unternehmen auf Astypalea zugelassen wird. Daran werden unsere Unternehmer und der Volkswagen Generalimporteur Kosmocar beteiligt sein. Es wird also auch kein öffentlich betriebenes Carsharing geben.
Den Autovermietern haben wir klar gesagt, dass es besser für sie ist, sich nicht zu verschließen und den Wandel zur Elektromobilität jetzt anzugehen. Jetzt erhalten sie die Autos von Volkswagen zu attraktiven Preisen, der Staat fördert jedes Auto mit bis zu 15.000 Euro. Wer weiß, wie sich das Programm in Zukunft verändert. Was, wenn unsere Autovermieter in einigen Jahren in kurzer Zeit ihr Geschäftsmodell komplett ändern müssen und sich nicht darauf vorbereiten? Dann ist es realistisch, dass internationale Unternehmen mit viel Kapital auf die Insel kommen und sie aus dem Markt drängen. Diese Realität sieht noch nicht jeder. Aber sie wird eintreten, wenn unsere Unternehmer nicht handeln. Wir müssen jetzt handeln, weil wir jetzt die Möglichkeit dazu erhalten.
Was den öffentlichen Verkehr angeht: Es gibt auf Astypalea einen privaten Busbetreiber, der am neuen Shuttle-on-Demand-System beteiligt sein wird. Bisher betreibt er sein Busnetz nur in der Hauptsaison, im restlichen Jahr existiert bisher kein Angebot. Das wird mit unserem öffentlichen System nicht mehr so sein.
… und die Tankstellenbetreiber?
Wenn die Einwohner aufgrund der Förderung ihre Fahrzeuge zügig durch elektrische Autos ersetzen, könnten die Absätze von Benzin und Diesel tatsächlich schnell fallen. Es wird allerdings keine Schnellladepunkte auf öffentlichen Parkplätzen geben, das ist unsere Zusicherung. Es wäre ihr Geschäft, dass Kunden ihr Fahrzeug in 20 oder 30 Minuten aufladen können. Wir haben auch vorgeschlagen, sie dabei zu unterstützen.
Ehrlicherweise erwarte ich aus dem Ladegeschäft aber keine großen Einnahmen. Wir benötigen zwar eine Infrastruktur für 7.000 Menschen, aber so viele Menschen haben wir nur im Sommer. In der übrigen Zeit leben rund 1.250 Menschen auf Astypalea. Von den etwa 60 Ladepunkten, die wir errichten, benötigen wir außerhalb der Saison vermutlich nur 10 oder 15.
Der Tourismus ist für die Bürger die wichtigste Einnahmequelle. Sehen Sie hier neue Chancen durch die Elektromobilität?
Ja. Die meisten Besucher lieben Astypalea aufgrund seiner ursprünglichen Atmosphäre. Es gibt hier etwas Pures, Bewahrenswertes. Das hebt uns von manch anderer Insel ab: Einheimische und Besucher kommen sich hier nah, die Insel ist sehr sicher. Es herrscht ein Gemeinschaftsgefühl, das junge Leute anderswo so nicht erleben. Sie wünschen sich jedoch einen Urlaubsort, der ihre Werte widerspiegelt: fortschrittlich und ökologisch. Technologie kann helfen, diese Dinge zu vereinen. Wir wollen das menschliche Miteinander erhalten und gleichzeitig kein rückständiger Ort sein. Und wir freuen uns über Menschen, die diese Werte teilen. Als Gäste, als semi-permanente oder als ständige Bewohner von Astypalea. Diese Art von Tourismus möchte ich fördern.
Mein übergreifendes Ziel ist es, Menschen zu überzeugen, eine längere Zeit des Jahres auf Astypalea zu verweilen und hier heimisch zu werden. Das stärkt unsere Community ebenso wie unsere lokale Wirtschaft. Daher will ich diese Chance ergreifen. Unser Transportsystem wird zukünftig beispielsweise 5G-Technologie erfordern. 5G würde es vielen Menschen ermöglichen, von Astypalea aus zu arbeiten, die das heute nicht können. Sie können hier morgens an den Strand gehen oder in Turnschuhen einen Berg besteigen, die sanfte, reine Luft der Insel atmen, sich dabei in einem sehr sicheren Umfeld bewegen und danach nach Hause gehen und arbeiten. In dem Bewusstsein, an einem Ort zu leben, der Nachhaltigkeit unterstützt und seine größtenteils ursprüngliche Umwelt bewahrt.
Damit dies aufgeht, muss das Projekt natürlich funktionieren und den Menschen zeigen, dass es Alternativen zum Status Quo gibt. Wir müssen Dinge probieren und bereit sein, sie im Prozess anzupassen oder zu revidieren. Vieles wird hier auf Astypalea demnächst zum ersten Mal passieren, vielleicht zum ersten Mal weltweit. Aber: Wenn wir nur die Probleme sehen, werden wir nichts ändern.
* ID.4 – Stromverbrauch in kWh/100 km: kombiniert 17-21,6; CO₂-Emission in g/km: kombiniert