Transformation zum Tech-Unternehmen: Volkswagen wirft den Turbo in der Entwicklung an
Die Elektrifizierung der Mobilität ist erst der Anfang. Eine viel radikalere Veränderung löst die Digitalisierung aus: Sie macht aus dem Auto ein mobiles Software-Device. Kunden können das Fahrzeug auch während der Nutzungszeit individualisieren. Sie profitieren von neuen Geschäftsmodellen und Mobilitätserlebnissen. Mit der Strategie ACCELERATE richtet die Marke Volkswagen ihr Handeln genau auf diese Themen aus. Schrittmacher der Transformation zum Tech-Unternehmen ist die Technische Entwicklung (TE) in Wolfsburg. Wir erklären, was es damit auf sich hat.
Bestes Produkt
Teil des digitalen Ökosystems
Das Auto von morgen kommuniziert mit seiner Umwelt. Es profitiert von digitalen Assistenzsystemen und virtuellen Upgrades, die es immer besser machen. Leuchtturm für Volkswagen ist dabei das Projekt Trinity – ein Level-4-fähiges Fahrzeug der nächsten Generation, das das Unternehmen 2026 auf den Markt bringt. Level 4 bedeutet: Das Auto kann im Normalbetrieb autonom fahren, die Person am Steuer wird in weiten Teilen zum Passagier.
Mit Trinity debütiert auch die neue Konzernarchitektur SSP (Scalable Systems Platform), die zur Basis aller Pkw-Marken im Konzern und damit von mehr als 40 Millionen Konzern-Fahrzeugen wird. Sie kommt bei Volkswagen 2026 zum ersten Mal im Projekt Trinity zum Einsatz und wird perspektivisch die E-Plattformen MEB und PPE zusammenführen. Wie bereits der MEB wird auch die SSP für Drittanbieter offen sein.
SSP (Scalable Systems Platform) ist Basis aller Marken und Modelle – das heißt Grundlage für mehr als 40 Millionen Konzern-Fahrzeuge
Die Einbettung des Autos in ein digitales Ökosystem schafft nicht nur ein neues Mobilitätserleben, sie leistet auch einen Beitrag zur Energiewende und damit zum Klimaschutz. Ein Beispiel: Smarte Elektroautos verbrauchen den Strom nicht nur – sie können ihn auch perspektivisch ins Hausnetz zurückspeisen. Das Fahrzeug wird zur Powerbank auf Rädern. Noch in diesem Jahr bringt Volkswagen im ID.51 das bidirektionale Laden in Serie.
Software-definiertes Produkt.
Die Digitalisierung ist für Autohersteller wie Volkswagen eine mindestens ebenso große Aufgabe wie die Elektrifizierung. Während der Golf II in den 1980er-Jahren noch mit 50.000 Zeilen Programmiercode für seine Steuergeräte auskam, sind es in heutigen Modellen bis zu 100 Millionen Zeilen – zehnmal so viel wie in einem Smartphone. Diese Zahl wird sich in den voll vernetzten, vollautomatisch fahrenden Autos der nahen Zukunft noch einmal drastisch erhöhen. Experten rechnen mit einer Verdreifachung.
Updates und neue Geschäftsmodelle.
Der schnelle Fortschritt bei der Software wird mit einem Digital Lifecycle Management (DLCM) ermöglicht. Mussten sich Kunden bisher beim Kauf für eine Ausstattungsvariante entscheiden, so können sie Software-Funktionen bald flexibel an ihre Bedürfnisse anpassen. Mit Updates und Upgrades wird das Produkt im Lauf der Zeit immer besser und bleibt stets auf dem aktuellen Stand der Technik. Entsprechend gering ist der Wertverlust.
Neue Software-Features können auch nach dem Kauf flexibel hinzugebucht werden (Functions on Demand, FoD). Das erste Over-the-air Update (OTA) von Volkswagen wurde bereits im Sommer 2021 über das Mobilfunknetz an Kundenfahrzeuge übertragen. Künftig wird das Unternehmen die Updates in regelmäßigen Abständen anbieten.
Mit dieser Strategie schafft Volkswagen die Voraussetzungen für neue Geschäftsmodelle und mehr Flexibilität. Beispiel autonomes Fahren: Kunden können ihren Autopiloten künftig nicht nur beim Kauf erwerben, sondern auch später dazubuchen – etwa für die Fahrt in den Urlaub. Mit der flexiblen Abrechnung nach Stunden wird die Technologie für viele Menschen verfügbar.
Bester Prozess
Vom Kunden her denken.
Als Schrittmacher der Strategie ACCELERATE richtet die TE von Volkswagen ihre Organisation, Prozesse und Arbeitsweisen neu aus. Die Orientierung an Funktionen, Software und großen Systemen löst die Fokussierung auf einzelne Bauteile ab. Solch eine funktions- und systemorientierte Entwicklung (FUSE) war bislang nur im Flugzeugbau üblich. In den 1990er-Jahren wurden Fahrzeuge in erster Linie bauteilorientiert entwickelt. Mit dem Anstieg von Funktionen und Elektronik Anfang der 2000er-Jahre spielte die Vernetzung eine immer größere Rolle. Für die Gegenwart und Zukunft muss das Fahrzeug als ein System im gesamten Ökosystem des Kunden betrachtet werden und nahtlos mit sämtlichen Systemen außerhalb des Fahrzeugs kommunizieren.
Deshalb arbeitet die TE auch mit einem neuen Mindset, indem sie das Kundenerlebnis (User Experience) bei allen Prozessen in den Mittelpunkt stellt. Alle Funktionen müssen nahtlos ineinandergreifen. Dies ist beispielsweise wichtig, damit das Auto im Stau zum bequemen Kino werden kann. Mit angenehmer Sitzposition, Klimatisierung und Innenraumbeleuchtung ganz nach den Wünschen der jeweiligen Nutzer. Und es braucht das passende Sicherheitssystem, das den Fahrgast auch in einer Liegeposition stets bestmöglich vor Unfallfolgen schützt.
Mit der neuen funktions- und systemorientierten Entwicklung (FUSE) hat Volkswagen die Anforderungen der Kunden im Fokus.
Agil arbeiten, schneller entwickeln.
Schon in der frühen Entwicklungsphase betrachten die Ingenieure die Anforderungen der angrenzenden Systeme – ob Laden oder Smart Home – und beziehen sie in ihre Arbeit ein. Die neue interdisziplinäre Arbeitsweise verringert den Zeitaufwand sowie die Kosten und steigert die Effizienz. Dabei setzt die TE verstärkt auf agile Methoden und organisiert die Aufgaben in Sprints. Resultat: Ein neues Fahrzeugprojekt wird nicht mehr 54, sondern nur noch rund 40 Monate Entwicklungszeit beanspruchen. Basis ist eine Software-Grundarchitektur, die in immer schnelleren Evolutionszyklen weiterentwickelt wird. Die neue Arbeitsweise der Entwickler bringt auch Vorteile für die Produktion: So soll die Produktionszeit von Trinity nur noch zehn Stunden betragen – etwa halb so viel wie bei heutigen Autos.
Software wächst, Hardware nimmt ab.
Die Hardware wird radikal standardisiert und ihre Varianten reduziert – beim Golf von heute gibt es rund 10 Millionen Konfigurationen, beim Trinity werden es noch 140 sein. Die Differenzierung erfolgt dann großteils über die Software. Sie kommt maßgeblich von CARIAD, der Softwareschmiede des Volkswagen Konzerns. Diese nutzt vergleichbare Prozesse, Methoden und Tools wie die TE. Das erleichtert die Zusammenarbeit und trägt dazu bei, Synergien im Konzern zu nutzen.
„Software first“: Umbau der TE hebt die Performance auf ein neues Niveau
Beste Mitarbeiter
Qualifizierung für sichere Arbeitsplätze.
Die Anforderungen in der Entwicklung haben sich komplett geandelt. Der Fokus verschiebt sich von der reinen Mechanik hin zur Software-Integration. Und so investiert Volkswagen in die Qualifizierung seiner knapp 12.000 Mitarbeiter in der TE, holt sie raus aus der Verbrenner-Welt und macht sie fit für die Elektro- und Digitalzukunft. Am Standort Wolfsburg entstehen so attraktive und sichere Arbeitsplätze in einer Zukunftsbranche.
Der neue Campus Sandkamp.
Der Nukleus der Transformation der TE und zugleich ihr sichtbarer Ausdruck wird der neue Campus Sandkamp sein. Der Komplex, den Volkswagen für 800 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren auf dem Wolfsburger Werksgelände baut, wird 4.000 Mitarbeitern Raum bieten und das modernste Auto-Entwicklungszentrum der Welt sein. Er ist ein Labor für die Zukunft: Traditionelle Grenzen zwischen Fachbereichen werden aufgelöst, der Bereich User Experience (UX) steuert die bereichsübergreifende Zusammenarbeit.
Campus Sandcamp wird das modernste Entwicklungszentrum der Automobilindustrie
Das Projekthaus vereint unter einem Dach das Design, die Konzeptentwicklung, die User Experience, die Produktstrategie, die Baureihen, die technischen Projektleitungen sowie Projektmitarbeiter aus Einkauf, Finanz, Produktionsplanung, Qualitätssicherung und Vertrieb. Das Integrationszentrum sorgt für kurze und effiziente Abstimmungs- und Entscheidungswege zwischen den Fakultäten. Mit seiner innovativen Test- und Simulationsinfrastruktur sowie den offen gestalteten Kollaborationsflächen bietet es ein optimales Umfeld für gelebtes Systems Engineering.
1 ID.5 – Stromverbrauch kombiniert in kWh/100 km: 17,1 – 21,6 (WLTP); CO2-Emissionen in g/km: 0