Volkswagen Gigafabriken in Europa: „Mit der Eigenfertigung sichern wir unsere E-Offensive ab"

Sie sollen bis 2030 fünf Zellfabriken in Europa bauen. Wie viel Respekt haben Sie vor dem Job?

Ich will es nicht kleinreden: Der Bau der Gigafactories ist ein Großprojekt, das uns wirklich viel abverlangt. Wir bauen ab sofort Zellfabriken in Serie. Dabei kommt es auf drei Dinge an. Erstens: ein starkes Team. Deshalb haben wir uns durch weitere Top-Experten aus der internationalen Batteriebranche verstärkt und werden das Team auch kontinuierlich ausbauen. Zweitens: die richtigen Partner für den Bau der Gebäude und der Fertigungsanlagen. Drittens: Standardisierung. Wenn wir jedes Werk einzeln planen, brauchen wir zu lange. Deshalb setzen wir auf das Konzept der Standardfabrik, wobei wir gleichzeitig lernfähig und flexibel bleiben. Damit werden alle Standorte rechtzeitig in Betrieb gehen.

Welche Vorteile bringt die Standardfabrik?

Das Standarddesign vereinfacht und beschleunigt vor allem die Planung und den Einkauf, weil wir in allen Fabriken die gleichen Komponenten für Gebäude und Ausrüstung einsetzen können. Unterschiedlich sind dann nur noch die Genehmigungsverfahren in den verschiedenen Ländern. Grundlage für die Standardfabrik ist die Volkswagen Einheitszelle, die wir an allen Standorten fertigen. Beides zusammen führt zu hohen Skaleneffekten. Aus Kundensicht wirkt sich das positiv auf den Fahrzeugpreis aus.

Batteriezellen aus den Volkswagen Gigafabriken werden unter anderem den Elektroautos der ID. Familie ihre Energie liefern.

Zusammen mit Bosch prüft Volkswagen die Gründung eines europäischen Ausrüsters für Batteriezellfabriken. Welche Rolle spielt das für Ihre Pläne?
Keine so ganz kleine. In Europa werden in den nächsten Jahren etliche Großprojekte im Bereich Batterieproduktion hochgefahren. Wir sehen viel Potenzial, uns gemeinsam an der Wertschöpfungsstufe Fabrikausrüstung zu beteiligen. Beide Seiten haben Innovationskompetenz und können weltweit vernetzte Industrieproduktion in Großserie leisten. Bosch entwickelt unter anderem passgenaue Maschinen und Anlagen und liefert digital gesteuerte Fertigungslinien.

Sie streben auch eine Kooperation mit dem belgischen Batteriematerial-Spezialisten Umicore an. Was hat es damit auf sich?
Auch mit diesem Projekt wollen wir eine lokalisierte Wertschöpfung aufsetzen, um möglichen Engpässen entgegenzuwirken. Wir sprechen mit Umicore über den Aufbau umfassender Produktionskapazitäten für Kathodenmaterial. Auch Rohstoffbeschaffung und Recycling spielen bei den Gesprächen eine Rolle.

Über welche Investitionssumme sprechen wir bei den Zellfabriken?
Der Konzern investiert rund 2 Milliarden Euro in den Bau und Betrieb der Zellfabrik in Salzgitter. In den Aufbau der gesamten Wertschöpfungskette in Europa fließt ein Invest, das wir nicht allein stemmen, sondern gemeinsam mit starken Partnern. Dazu gründet Volkswagen eine Europäische Aktiengesellschaft, die alle Aktivitäten bündelt – von der Rohstoffverarbeitung über die Entwicklung der Einheitszelle bis zur Steuerung der Gigafabriken.
 

Die Zellfabrik in Salzgitter ist gesetzt, Spanien und Osteuropa sind im Gespräch, zusätzliche Standorte in Prüfung. Nach welchen Kriterien wählen Sie aus?
Neben der Beschaffenheit des Grundstücks und den lokalen Rahmenbedingungen sind zwei Dinge entscheidend: Personal und Energie. Um eine Zellfabrik zügig hochzufahren, müssen wir im Umfeld genügend qualifizierte Mitarbeiter finden. Nicht nur Chemiker, das ist eine überschaubare Zahl, sondern vor allem Menschen mit Produktionserfahrung. Außerdem brauchen wir genügend grünen Strom, etwa aus Sonnenenergie oder Windparks.

„Jede Generation der Standardfabrik ist so ausgelegt, dass wir die Investitionen langfristig nutzen können.“

Sebastian Wolf Geschäftsbereich Battery des Konzern-Vorstandsressorts Technik

Wie anpassungsfähig sind die Fabriken, wenn sich die Batterietechnologie weiterentwickelt?
Die Standardfabrik ist auf Grundlage unserer Technologiematrix geplant, die mehr als 30 absehbare Prozessinnovationen bis zum Ende der Dekade berücksichtigt. Dazu gehören etwa das Trockenbeschichten der Elektroden, neue Zellchemien und die Festkörperbatterie. Wir gehen davon aus, dass wir die Fertigung über drei Fabrikgenerationen weiterentwickeln. Einige Prozessketten werden sich dabei verändern, manche Anlagen werden wir austauschen. Jede Generation der Standardfabrik ist dabei so ausgelegt, dass wir immer aufwärtskompatibel sind und somit sicherstellen, dass wir die Investitionen langfristig nutzen können.

Eine weitere Fabrik baut Volkswagen Partner Northvolt im nordschwedischen Skellefteå. Warum die Aufteilung?
Northvolt wird nicht nur Marken des Volkswagen Konzerns, sondern auch andere Kunden beliefern. Dementsprechend werden in Schweden künftig nicht nur Einheitszellen produziert, sondern auch andere Zellformate. Unabhängig davon ist die Zellproduktion in Skellefteå auf die Nutzung erneuerbarer Energie aus Wasserkraft ausgelegt

Wie viele Arbeitsplätze entstehen in den sechs Fabriken?
Wir sprechen über eine insgesamt fünfstellige Zahl von Jobs. Allein in Salzgitter werden ja perspektivisch mehr als 2.500 Arbeitsplätze geschaffen.

Sie sprachen das Thema Personalsuche an. Woher sollen die Leute kommen?
Salzgitter ist der erste Standort, für den wir die konkrete Planung begonnen haben. Ich gehe davon aus, dass wir dort einen Großteil der Beschäftigten innerhalb des Unternehmens finden. Das ist Teil der Transformation bei Volkswagen. Im Motorenwerk Salzgitter beispielsweise gibt es viele Produktionsprofis, die nach der notwendigen Qualifizierung in der neuen Zellfabrik arbeiten könnten. Das Produkt ist zwar ein anderes, aber viele Fertigungsprozesse unterscheiden sich gar nicht so fundamental.

Wie sieht der Zeitplan aus?
In Salzgitter ist das sogenannte Levelling, das Vorbereiten des Grundstücks, fast abgeschlossen. Im März werden wir den Bauantrag einreichen und voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte mit dem Bau beginnen. Im Frühjahr 2025 soll der erste Fabrik-Block die Serienproduktion aufnehmen. Nach rund einem halben Jahr startet der zweite Block. Anschließend folgen im Abstand weniger Monate die weiteren Standorte, beginnend in Südeuropa. Spätestens 2030 planen wir, eine Gesamtkapazität von 240 GWh zu erreichen.

Standort Salzgitter: Das Grundstück für die Zellfabrik steht bereit – der Bau soll in der zweiten Jahreshälfte 2022 beginnen.

Ist Volkswagen damit versorgt oder müssen Sie weiter Zellen zukaufen?
Mit der Eigenfertigung sichern wir den Hochlauf unserer E-Offensive ab und machen uns auf den Weg zu mehr Unabhängigkeit. Wir werden aber auch weiterhin auf Kaufzellen setzen. Natürlich hängt einiges von den Kundinnen und Kunden ab: Je schneller sich die Elektromobilität durchsetzt, desto schneller steigt der Bedarf an Batteriezellen.

Bislang gelten Hersteller aus Asien als führend. Haben die Zellfabriken auch industriepolitische Bedeutung?
Bei einem E-Auto ist die Batteriezelle ein zentrales Differenzierungsmerkmal. Sie entscheidet über Ladegeschwindigkeit und Reichweite. Ich halte es deshalb für immens wichtig, dass wir in Europa Know-how aufbauen und Wertschöpfungsketten zu uns holen. Ähnlich wie es heute beim Verbrennungsmotor ist. Bei der Batteriezelle sind wir im Moment zwar nur Fast Follower, aber wenn wir es richtig machen, können wir in einigen Jahren zu den Führenden gehören.

Zur Person:
Sebastian Wolf ist seit August 2021 Head of Operations Battery Cell im Geschäftsbereich Battery. Damit verantwortet der Produktionsingenieur unter anderem den Aufbau der europäischen Zellfabriken, die die Volkswagen ID. Modelle und weitere Konzern-Fahrzeuge mit Energiespeichern versorgen sollen. Vor seinem Einstieg beim Volkswagen Konzern war Wolf für den chinesischen Batteriehersteller Farasis Energy tätig, zuletzt als Europavorstand. Nach dem Abitur in Istanbul studierte Wolf an den Universitäten Aachen, Bath und Tsinghua in Peking. Neben Deutsch und Englisch spricht er Chinesisch, Französisch und Türkisch.

Stichwort: Europäische Aktiengesellschaft
Die Societas Europaea (SE) oder Europäische Aktiengesellschaft ermöglicht die Geschäftstätigkeit in verschiedenen europäischen Ländern nach einem einheitlichen Regelwerk. In Deutschland wurde die Unternehmensform im Jahr 2004 eingeführt. Die von Volkswagen gegründete SE für das Batteriegeschäft bündelt die Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette – von der Rohstoffverarbeitung über die Entwicklung der Volkswagen Einheitszelle bis zur Steuerung der europäischen Gigafabriken. Auch für neue Geschäftsmodelle, etwa rund um das Rohstoff-Recycling, wird die SE zuständig sein.

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